Das Digitalisierungstempo ist schnell. Keine Frage, sehr schnell. Zuletzt zeigte das Tellerrandspringer Markus Sauerhammer in seinem sehr sehenswerten Blogpost: Er verbindet darin Landwirtschaft, Digitales und Anderes.
Etwas stört mich aber schon dabei: Der immer wiederkehrende Vergleich von „Meilensteinen“ und deren Zeit, bis 50 Millionen Nutzer erreicht wurden. Das sieht dann so aus:
- Telefon: mehr als 70 Jahre
- Radio: 36 bis 38 Jahre
- Fernsehen: 12 bis 13 Jahre
- Internet: 3 bis 7 Jahre
- Facebook: 1 Jahr
- Twitter: 0,75 Jahre
- Angry Birds: 35 Tage
Meine These:
Das ist ein Internet-Meme, welche die Herausforderung der digitalen Geschwindigkeit gut illustriert. Der Vergleich ist aber extrem zurechtgebogen, eigentlich ist er einfach falsch.
Wie komme ich darauf?
- Exakte Zahlen wie 36 Jahre Radio, 12 Jahre TV oder 7 Jahre Internet machen mich misstrauisch. Sie suggerieren einen exakten Startpunkt und einen exakten 50 Mio-Zeitpunkt.
Gibt es diese Punkte wirklich? - Die 50 Millionen-Grenze ist problematisch: Im Jahr 1900 lebten in den USA 75 Mio. Menschen, 1950 waren es 151 Mio.. 2010 waren es 309 Mio..
D. h. die bessere Grenzzahl ist „Nutzer pro Einwohner“ und nicht die absoulte Zahl. Manchmal wird übrigens auch mit 50 Mio. Haushalten argumentiert… - Es gibt einen Durchbruchpunkt der technologischen Entwicklung, an dem die grundsätzliche Machbarkeit gezeigt wurde. Der Zeitpunkt der allgemeinen Zugänglichkeit ist aber ein ganz anderer, der meist viel viel später liegt. Hier Grundsatztechnologien (Internet) mit darauf laufenden Applikationen (Facebook) zu vergleichen ist seltsam bis irreführend.
Zu den einzelnen Medien:
- Radio:
- Erste Idee: Popow 1895
- Erster kommerzielle Radiosender: 1920, bei den Hörern waren Geräte für den Gemeinschaftsempfang im Einsatz. Bis 1927 entstanden über 700 Sender.
- 1924 lebten in den USA 114 Mio. Menschen. In diesem Jahr wurden in den USA 2.4 Mio. Radiogeräte verkauft. Nimmt man an, dass pro Familie 5 Personen zuhörten (2 Eltern, 3 Kinder) kommt man auf einen jährlichen Zuwachs von ca. 10 Mio. Nutzern allein in den USA.
- Mein Fazit: Irgendwann Ende der 1920er Jahre wurde die 50 Mio. Nutzer-Schwelle überschritten. Nimmt man also den technologischen Durchbruch 1920 sprechen wir von 10 Jahren. Nun berücksichtige ich, dass damals 114/309=37% weniger Menschen lebten und setzte für das Radio 37% * 10 Jahre = 4 Jahre an.
- Fernsehen:
- Erste Idee: Paul Nipkow
- Ab den frühen 1940ern begannen TV-Übertragungen, 1951 waren ca. 12 Mio. Fernsehgeräte im Einsatz (5 Personehaushalte im Schnitt) bei 152 Mio. US-Einwohnern. D. h. hier haben wir 11 Jahre * 152/309 = 5 Jahre
- Internet (tja, was ist das: smtp, http, ftp, usenet, arpanet ;-)…):
- Erste Idee: Joseph Carl Robnett Licklider Ende der 1950er Jahre
- 12. März 1989 Tim Berners-Lee: Hypertext
- 1996: Diplomarbeit zu „Ursachen für den verzögerten Erfolg des Internet und anderer multimedialerOnline-Dienste in Deutschland„
- 1997: 20 bis 70 Mio. Internetnutzer (Surfer), bei den Nutzern von E-Mailadressen kommt man auf höhere Zahlen.
- Mein Fazit: 7 Jahre
- Facebook (müsste eigentlich Social Media lauten):
- Erste Idee, Vorläufer: z. B. 22. März 2002 friendster.com
- 4. Februar 2004: Start facebook
- 2007: ca. 50 Mio aktive Nutzer bei 10% Fakequote
- Mein Fazit: 5 Jahre
- Angry Birds:
Die 50 Mio. Downloads erreichten „Angry Birds 2“. Die erste Version benötigte mehr als ein Jahr für 50 Mio. Downloads.
Aber was ist der Sinn, eine Grundsatztechnologie mit einer darauf laufenden Anwendung zu vergleichen? Das Pedant zum Radio wären Einschaltquoten für Top-Radiosendungen.
Fazit: Der Vergleich zum Digitalisierungstempo hinkt hinten und vorne.
Mein Vorschlag: Das Moorsche Gesetz zeigt die Entwicklung viel besser…